DEICHKIND: Was macht der Hofnarr in der Krise?


Deichkind liefern auf ihrem neuen Longplayer wieder erfrischende Antworten auf existentielle Dinge des Lebens

 

Von Steffen Rüth

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DEICHKIND
Neues vom Dauerzustand
(Sultan Günther/Universal)
Bereits erschienen


„Die Zeiten sind ernster, und man muss sich dazu verhalten.“ (La Perla)

Neues vom Dauerzustand heißt das neue Album von Deichkind, jenen klugen Krawallbrüdern, die seit einem Vierteljahrhundert mit Electropunk, Hip-Hop, heiligem Blödsinn, legendären Liveshows und Songtiteln zum Eintätowieren (Remmidemmi, Leider geil oder Bück dich hoch) ganz grundsätzlich für Begeisterung sorgen. Die neuen Songs sind im Schnitt erwachsener, ernster und noch ambivalenter als sonst, auch bei den Hamburgern haben die letzten Jahre einige Wirkungstreffer erzielt. Wir treffen uns mit dem kreativgeniale Dreigestirn Porky (Sebastian Dürre, 45), Kryptik Joe (Philipp Grütering, 48), La Perla (Henning Besser, 43) in Berlin in einem luftigen Raum mit Blick auf die Spree, zu trinken gibt es Limo, zu mampfen sogenannte Energiebällchen, also im Prinzip dreimal so teure Rumkugeln.

 

Der Begriff „Dauerzustand“ hat keinen sonderlich guten Ruf. Oft heißt es, irgendetwas dürfe kein Dauerzustand werden. Wollt ihr diese negative Zuschreibung mit Neues vom Dauerzustand umdrehen?

Porky: Dauerzustand kann allerdings auch bedeuten: „Wir sind immer noch die Geilsten“. Aber es ist wahr, gute Dauerzustände sind selten. Selbst eine durchgängige Erregung wird dich irgendwann quälen.

La Perla: Ich finde den Titel sehr ehrlich. Dauerzustand steht für etwas Zermürbendes. Und zermürbend waren die letzten drei Jahre ohne Zweifel.

Kryptik Joe: Wir sind als Jugendliche mal angetreten, um die Welt, zumindest aber ein paar Dinge um uns herum, zu verändern. Und nicht, um im Dauerzustand zu verweilen. Von daher ist der Titel schon auch ein bisschen zynisch.

 

Wieso zynisch?

Kryptik Joe: Naja, früher hast du gedacht „Ich will die krassesten Sachen machen“. Dann bist die Ende 40, ein Kapuzenpulli tragender Berufsjugendlicher und bringst dein achtes Album raus. Dann zu sagen, „Es ändert sich nichts“ oder „Es soll sich auch gar nichts ändern“, das hat eine zumindest leicht zynische Note.

 

Das Älterwerden ist ein Thema auf der neuen Platte. Die neue Single Kids in meinem Alteretwa ist ein liebevoll sarkastischer Blick auf die vermeintlichen Alles-Durchblicker eurer Generation.

La Perla: Dieses ganze Jugendding ist ein Riesenthema, aber ich interessiere mich nicht dafür. Man kann ja doch nichts dran ändern. Früher war man froh, wenn man alt ist. Es gab Altgesellen und Tische im Betrieb, an denen nur Senioren saßen. Und an der Uni hatte man noch Ehrfurcht vor dem ehrenwerten Herrn Professor. Das hat sich alles komplett umgedreht. Heute wollen alle, egal, wie alt sie sind, bei den Jungen mitmischen – getrieben von der Angst, dass der Tod anklopft.

 

Das Älterwerden ist also eine wünschenswerte Angelegenheit?

La Perla: Ich freue mich, dass ich nicht mehr jung bin. Ich will auch nicht mehr jung sein. Viele Komplexe, die ich als junger Mensch hatte, haben sich relativiert. Ich denke, alles hat seine Zeit. Es war geil, jung zu sein, und es ist geil, nicht mehr jung zu sein.

Kryptik Joe: Eine Supergaudi war es, diese Liste mit all den peinlichen Verhaltensweisen unserer Generation zusammenzuschreiben.

 

„Hören CDs in Cafés“, „suchen nach atemberaubenden Gartenlauben“, „denken, es ist Hanf, aber es ist Bambus“…

Kryptik Joe: Genau. Der Song ist entstanden während einer Schreibreise in einem veganen Hostel in der Sächsischen Schweiz. Nachts sind wir durch die wilden, sächsischen Wälder gestreift. Morgens gab es ein phantastisches Ayurveda-Frühstück, zubereitet von einem wunderschönen jungen Barfuß-Engel mit freiem Oberkörper, der aussah wie Jesus.

Porky: Dieses Hostel war voll der Schwurbler-Laden. Wusstet ihr, dass alle Schwurbler solche abgemagerten Knäckebrot-Typen sind? Außer Donald Trump.

 

Spätestens bei euren grellen Liveshows ist das Alter sowieso egal. Auf der Bühne seid ihr ein bisschen wie Kiss, oder wie seht ihr das?

La Perla: Das sehen wir auch so. Wir haben immer schon darauf geachtet, dass der Einzelne bei der Vermarktung von Deichkind nicht so sehr im Vordergrund steht. Ich selbst bin schon seit Jahren gar nicht mehr auf der Bühne, das hat nur keiner gemerkt. Wenn in Zukunft jemand von uns nicht mehr will oder kann, wird einfach ein neuer Darsteller angelernt, das hat was von den Harlem Globetrotters. Wenn wir keinen mehr interessieren sollten, wollen wir uns nicht aufdrängen, aber nach diesem Prinzip könnte Deichkind sogar irgendwann ohne uns weiterexistieren. Es geht nicht um den Einzelnen, es geht um die Idee und um die Inhalte.

 

So wie bei Abba mit ihrem Voyage-Abbataren? Die kommen inzwischen ganz ohne Menschen aus.

Porky: Ich liebe Abba. Für mich ist das eine größere Band als die Beatles. Sie haben die besseren Melodien, die besseren Texte…

La Perla:…was? Abba sind mir zu unterkomplex. Die Musik hat ihre Qualität, aber es fehlen Ecken und Kanten. Bei Abba sträuben sich mir schnell die Nackenhaare.

Kryptik Joe: Das ist perfektes Handwerk, aber schon auch immer etwas kitschig.

Porky: Für mich waren die Beatles einfach nur Pimmelköpfe, die sich den Rock’n’Roll angeeignet haben. Fish and Chips fressende Spinner, die so taten, als hätten sie das Rad neu erfunden.

 

Ist Neues vom Dauerzustand ein ernsteres Album als von euch gewohnt?

Kryptik Joe: Ja. Es ist ja auch eine ernstere Zeit als sonst.

La Perla: Die Zeiten sind ernster, und man muss sich dazu verhalten. Ob das Ergebnis insgesamt ernster geworden ist, weiß ich nicht. Manche Songs sind es auf jeden Fall.

 

So wie In der Natur, der fast schon etwas Apokalyptisches an sich hat.

La Perla: Ich finde es gut, dass dieses Düstere und Bedrohliche als eine neue Facette bei uns hinzugekommen ist. Für mich ist das das Deichkinder der Zukunft. In der Natur ist böser und lustiger, politischer und dadaistisch-blödsinniger gleichzeitig. Aus meiner Sicht geht unser zukünftiger Weg noch stärker ins Gegensätzliche, und ich bin zuversichtlich, dass wir auch den Hörern diese Komplexität zutrauen kann. 

 

Was ist die Botschaft von In der Natur?

La Perla: In der Natur verbindet den Blick auf diesen naiven, hochgradig begeisterten Großstadt-Hipster, der während Corona den Wald für sich entdeckt hat und dort natürlich aufgeschmissen ist, mit einer dystopischen Endzeiterzählung von Borkenkäfer bis Atomkrieg. Alles findet gleichzeitig statt. Und der Roboterhund, den wir im Video dabei haben, ist irgendwie putzig, aber eine Kriegsdrohne.

 

Jetzt echt?

La Perla: Ja. So komplex und widersprüchlich ist die Welt. Wir beobachten das und bilden es mit poetischen Bildern ab. Es gibt kaum einen Unterschied zwischen einem Nanoroboter, der fast im Alleingang Herzoperationen ausführen kann, und einem Roboter, der gezielt irgendwo auf der Welt einen Menschen tötet. Alles ist geil und alles ist scheiße – gleichzeitig.

Porky: Wir sind die bösen Typen im Hoodie, an der Leine ein süßer Golden Retriever.

 

Wo habt ihr das In der Natur-Video gedreht?

Porky: Im Tierpark Klövensteen am Rande von Hamburg. Da bin ich als Kind schon gern mit meiner Oma gewesen.

 

Deichkind-Lieder leben – ähnlich wie dieses Gespräch - davon, dass ihr drei euch die Ideen zuwerft. Ist es leicht, auf einer Wellenlänge zu bleiben, wenn man sich länger nicht gesehen hat, wenn sich Lebensumstände ändern, man halt einfach erwachsener wird?

La Perla: Wenn wir unsere individuellen Lebenslinien wieder zusammenführen, brauchen wir manchmal ganz kurz, bis wir uns wieder aneinander gewöhnt haben und einen gemeinsamen Konsens gefunden haben. Aber wir haben immer wieder schnell das Gefühl, dass es sehr schön ist, zusammen Zeit zu verbringen. Gerade nach der Pandemie genießen wir unsere regelmäßigen Band-Meetings noch mehr als früher.

 

Habt ihr Deichkind während der Corona-Zeit infrage gestellt?

La Perla: Nein. Dafür haben wir in 25 gemeinsamen Jahren viel zu viel Tolles erlebt. Deichkind hält uns drei zusammen. Wir leben zwar nicht mal alle drei in derselben Stadt, aber ich denke, selbst wenn es Deichkind irgendwann nicht mehr gäbe, würden wir weiter in Kontakt bleiben.

Kryptik Joe: Man muss jedoch auch sagen, dass Deichkind ohne den wirtschaftlichen Erfolg ein klappriges Gerüst wäre. Ich weiß nicht, was mit der Band geschehen würde, wenn wir nicht mehr unseren Lebensunterhalt davon bestreiten könnten. Während der Pandemie stand diese Möglichkeit ja durchaus im Raum. Vielleicht wären wir sogar noch freier, wenn wir Deichkind nicht mehr zum Geldverdienen betreiben würden, sondern als Hobby.

La Perla: Als während der Coronapandemie plötzlich verkündet wurde, dass Kunst, Kultur und Musik nicht systemrelevant seien, hat das schon heftig an unserem Selbstbild gerüttelt. Wir sind es gewohnt, auf einer Bühne zu stehen und Applaus zu bekommen. Auf einmal stand diese Unsicherheit im Raum. Wir wussten nicht, wie wir uns definieren sollten. Was macht der Hofnarr in der Krise? Was ist überhaupt unsere Rolle? Die Aussicht, den nächsten Sauf-Song oder die nächste superironische Beschreibung von Erste-Welt-Problemen zu schreiben, fühlte sich etwas deplatziert an. Man kann ja schon auf den Gedanken kommen, dass es angesichts von Klimakatastrophe, Corona und im Krieg sterbenden Menschen Wichtigeres gibt als uns.

 

Steht der Hofnarr in der Krise besonders in der Verantwortung?

Kryptik Joe: Wir sind nicht angetreten, um die Leute bei Laune zu halten. Ich finde es aber schön, ihnen mit unserer Arbeit eine Freude zu bereiten.

La Perla: Wir wollen während eines Konzerts die Leute nicht an den Krieg erinnern, wir können aber auch nicht so tun, als wenn es das Leid nicht gäbe und als wäre alles nur Friede, Freude, Eierkuchen. Auch in den zwei Stunden, die unser Konzert dauert, geht beides gleichzeitig: hemmungslos weinen und hemmungslos lachen.

Porky: Unsere Dramaturgie hat mehr zu bieten als nur „Party, Party, Party“. Wir wollen die Leute rundum glücklich machen.

La Perla: Das Publikum vertraut uns – aus gutem Grund.


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