Es lebe die Nostalgie

„Der Sommer in Velbert ist wirklich schön. Aber ich glaube, wenn man mit den richtigen Leuten zusammen ist, dann kann jeder Ort zum besten Ort der Welt werden.“ (Sammy)
„Für meine Eltern war es anfangs eher negativ. Sie sind beide Migranten, die einen harten Weg hinter sich haben, bis sie sich in Deutschland etabliert hatten. Für ihre Kinder hatten sie sich in erster Linie Bildung erhofft und auch alles dafür gegeben, dass das passiert.“ (Rayan)
„Man vermisst immer das, was man nicht hat. Wir leben unseren Traum und alles läuft gut. Trotzdem denken wir wehmütig zurück an die Zeiten, in denen es uns objektiv viel schlechter ging.“ (Sammy)
BLUMENGARTEN
Ich liebe dich für immer
(Universal)
Bereits erschienen
Rayan Djima (Gesang) und Sammy Eickmann (Gitarre, Produktion) stammen aus Velbert, das zwischen Düsseldorf, Essen und Wuppertal liegt, gehen auf die 25 zu und veröffentlichen mit Ich liebe dich für immer nun eines der spannendsten Alben, die in diesem Jahr aus Deutschland kommen werden. Aus allen erdenklichen Genres, vor allen Indie-Pop, softem House, Hip-Hop und Soul wächst und gedeiht bei Blumengarten eine ganz eigene, zarte, popglänzende musikalische Ausdrucksweise, dazu gesellen sich nostalgiegetünchte Texte über das schwierige Loslassen von der Jugend. Nach einer ersten EP, Kollaboration unter anderem mit Paula Hartmann (paris syndrom) und Cro (Nie wieder normal), dem Einheimsen mehrerer Nachwuchspreise und einer bevorstehenden Tournee (auf der Bühne sind sie insgesamt zu sechst) soll 2025 ihr Jahr werden. Ein Gespräch über Locken, Liebe und die Frage, wann man erwachsen ist.
Rayan, Sammy, seid ihr gut in den Tag gestartet?
Rayan: Einigermaßen. Heute ist so viel los, dass ich noch keine Zeit hatte, mich fertigzumachen und um meine Locken zu kümmern (lacht).
Bedürfen deine Haare der besonderen Pflege?
Rayan: Aber ja. Ich habe einen Conditioner und ein Shampoo, beides benutze ich, damit die Locken schön lockig sind. Und von meiner Mutter habe ich ein besonderes Öl bekommen, dass ich jeden Tag in die Haare schmiere, das wirkt Wunder. Dass die Haare gut aussehen, gehört für mich zu so einer Gesamthaltung dazu. Man kann ja ruhig sagen, dass die Locken so ein bisschen mein Markenzeichen sind.
Hast du deine Frisur immer schon so lockig getragen?
Rayan: Seit ich mit Sammy zusammen Musik mache, habe ich mir die Haare nicht mehr geschnitten.
Sammy: Du dachtest wohl, als Musiker sieht es cooler aus, wenn die Haare lang sind (lacht).
Rayan: Das auch, aber es war auch eine Frage des Geldes. Zum Friseur zu gehen, ist nicht günstig, und damals war es mit der Kohle oft ein bisschen eng.
Ihr lebt jetzt beide in Köln. Teilt ihr euch eine Wohnung?
Sammy: Nein, aber möglicherweise leben wir bald im selben Gebäudekomplex. Unsere beiden Manager wohnen auch schon dort, und wenn es so weiter geht, übernehmen wir die ganze Straße.
Ihr könnt die dann ja in Blumengartenstraße umbenennen.
Sammy: Das wäre ein schöner Straßenname. Wir träumen ja auch davon, dass es in Velbert in hundert Jahren die Straße Blumengarten gibt.
Rayan: Oder in zehn Jahren. Ich fände es cooler, wenn sie das machen, während wir noch leben. Sonst haben wir ja nichts davon.
Velbert liegt zwischen Wuppertal und Essen. Ihr seid dort aufgewachsen und in die Gesamtschule Velbert Mitte gegangen. Wie ist Velbert so?
Rayan: Ziemlich grau. Aber trotzdem schön. Es löst halt immer so ein nostalgisches Gefühl aus, in Velbert zu sein.
Sammy: Der Sommer in Velbert ist wirklich schön. Aber ich glaube, wenn man mit den richtigen Leuten zusammen ist, dann kann jeder Ort zum besten Ort der Welt werden. Wir haben in Velbert unsere Kindheit und Pubertät verbracht, das war eine sehr formative Zeit für uns. Wir verbinden mit der Stadt viele prägende Erinnerungen, die wir so heute nie mehr werden erleben können. Letztens habe ich noch darüber nachgedacht, wie gern ich mal wieder mit meinen Grundschulkumpels Fußball spielen würde. Oder wie wir auf dem Schulhof abgehangen sind und mir ein Freund das erste Mal House Music vorgespielt hat.
Wann hast du selbst angefangen, an deiner eigenen Musik zu basteln?
Sammy: Mit vierzehn. Am Anfang war das noch alles sehr undefiniert. Ich bin ja kein Sänger, ich habe eher nur so Geräusche gemacht. Richtig mit Songs fing ich erst an, als ich Rayan kennengelernt hatte.
Ihr seid zwar auf dieselbe Schule gegangen, aber befreundet wart ihr während der Schulzeit nicht?
Sammy: Genau. Wir haben im selben Jahr Abitur gemacht, aber unsere Freundschaft hat sich erst entwickelt, als wir anfingen, zusammen Musik zu machen.
Wie kam das zustande?
Rayan: Wir stellten fest, dass wir ähnlich ticken und uns für ähnliche Musik begeistern. Wir haben eine gemeinsame Freundin, die wusste, dass Sammy Musik produziert und der ich irgendwann gebeichtet habe, dass ich versuche, Texte zu schreiben. Sie hat mich ermutigt, Sammy zu kontaktieren. So ist das dann entstanden. Alles ging von der Musik aus. Wir haben uns dann das erste Mal getroffen und wussten: Das ist unser Ding, wir wollen das machen.
Sammy: Es war auch einfach schön, jemanden zu haben, mit dem man sich über Kunst und Musik unterhalten konnte. Nicht, dass wir jetzt so verrückte, außergewöhnliche Geschmäcker hätten, trotzdem tat es einfach gut, jemand Gleichgesinntes zu treffen. Später an der Uni findet man sich ja oft leichter zusammen, aber wir waren halt nicht an der Uni, sondern gerade mit der Schule fertig.
Wer sind denn eure gemeinsamen musikalischen Vorbilder?
Rayan: International gehört auf jeden Fall Frank Ocean dazu. Sammy und ich lieben Cro. Er war ein riesiger Teil unserer musikalischen Sozialisierung. Und ich bin ein großer Casper-Fan.
Rayan, war dir denn überhaupt bewusst, was für eine tolle Stimme du hast?
Rayan: Nein, ich habe meine Stimme nie für so besonders gehalten. Ich wusste jedoch, dass ich viel zu erzählen und ein ganz gutes Gefühl fürs Texten habe. Dass meine Stimme irgendwie Leute berührt und sie meinen Gesang auch einfach schön finden können, habe ich erst verstanden, als wir die ersten Reaktionen auf unsere frühen Veröffentlichungen bekamen.
Sammy: Ursprünglich wollte Rayan gar nicht singen, sondern im Hintergrund als Texter arbeiten, Ich meinte dann zu ihm: Tut mir leid, irgendwer muss das jetzt hier singen, und jemand anderen als dich haben wir nicht.
Rayan, dann hast du also in der Schulzeit dein Talent immer etwas versteckt?
Rayan: Kann man sagen. Ich habe auch nie bei Schulaufführungen gesungen oder so. Ich war auch in meiner Familie nicht als Sänger aufgefallen. Das hat wirklich alles nach dem Abitur mit Sammy angefangen und war für alle in meinem Umfeld eine große Überraschung.
Eine positive Überraschung?
Rayan: Für meine Eltern war es anfangs eher negativ. Sie sind beide Migranten, die einen harten Weg hinter sich haben, bis sie sich in Deutschland etabliert hatten. Für ihre Kinder hatten sie sich in erster Linie Bildung erhofft und auch alles dafür gegeben, dass das passiert. Ich habe diesen Weg auch nicht in Frage gestellt, bis ich Sammy traf und schnell klar war, dass ich mit ihm Musik machen möchte. Das war für meine Eltern eine schwierige Umstellung. Aber mittlerweile sind sie unsere größten Fans und teilen immer alle News über uns sofort mit ihrem Freundeskreis.
Deine Eltern sind ursprünglich aus Kamerun, oder?
Rayan: Ja, ich bin auch in Kamerun zur Welt gekommen. Man erinnert sich ja nicht mehr an vieles, was einem mit fünf oder sechs passiert, aber ich habe noch ein paar dunkle Erinnerungen an meine erste Zeit in Deutschland. Erinnerungen, die geprägt sind von Rassismus-Erfahrungen, die vor allem meine Eltern gemacht haben, als sie nach Deutschland gekommen sind. Mit diesem Wissen und diesem Hintergrund ist es mir natürlich schwergefallen, nicht den beruflichen Weg zu gehen, den sie sich für mich vorgestellt hatten. Weil ich miterlebt habe, was für Opfer sie gebracht haben, hatte ich lange Zeit Schuldgefühle und das Gefühl, ich schulde meinen Eltern etwas.
Wie alt warst du, als du nach Deutschland gekommen bist?
Rayan: Sehr jung. Eins oder zwei. Meinen Eltern war wichtig, dass wir uns einerseits integrieren, andererseits aber auch verstehen, dass wir irgendwo ein Fremdkörper sind in Deutschland. Mit diesem Bewusstsein bin ich aufgewachsen.
Hast du dieses Bewusstsein heute noch?
Rayan: Ja. Ich glaube, das bleibt für immer. Auch, weil ich immer wieder auf Menschen treffe, die mir ins Gedächtnis rufen, dass ich ein Fremder bin. Sammy, ich, unser ganzes Team, wir bewegen uns in einer sehr reflektierten Blase, die meine Gefühle versteht, doch sobald man aus dieser Blase heraustritt, merkt man schnell, dass es nur eine Blase ist. Die Mitte der Gesellschaft, und man sieht es ja gerade wieder sehr deutlich, wenn man das politische Geschehen verfolgt, hat bei dem Thema noch nicht den Stand erreicht, den ich mir wünschen würde.
Euer Album heißt Ich liebe dich für immer. Wart ihr eigentlich immer schon solche Romantiker?
Rayan: Sammy, bist du ein Romantiker?
Sammy (lacht): Ich bin ein Romantiker durch und durch. Schon in meinen jungen Jahren hat am Valentinstag immer irgendein Mädchen von mir eine Rose bekommen. Rayan?
Rayan: Ich kann ein Romantiker sein, wenn ich möchte. Die Vorstellung, nicht alleine zu sein und jemanden zu haben, mit dem man dieses ganze Leben teilen kann, war in meinem Kopf immer schon weit vorne.
Im Titelsong singst du, das Debütalbum eures Kollegen Frank Ocean erwähnend: „2012, Nostalgia, Ultra in meinem Zimmer / Und ich glaub‘, ich liebe dich für immer“. Wie alt warst du da?
Rayan: Ungefähr elf. Ich glaube, dass man in seinen jugendlicheren Jahren Emotionen am stärksten fühlt. Wenn du zum ersten Mal die Liebe spürst, dann wirst du sie danach nie wieder so hart spüren wie beim ersten Mal. Und da reicht es sogar, wenn du sie nur einseitig spürst, sie also nicht erwidert wird. Trotzdem ist das Gefühl extrem intensiv. Man sagt ja über Leute, die harte Drogen konsumieren, dass sie immer dem Gefühl des allerersten High hinterherjagen. So ähnlich ist das auch mit der Suche und dem Jagen nach der Liebe, und auch das kann auf eine ungesunde Art abhängig machen.
Ihr wart noch gar nicht so lange als Blumengarten zusammen, da kam es 2022 zu eurer ersten EP Sag deinen Freunden, dass du sie liebst und zum ersten Hit paris syndrom, einer Kollaboration mit Paula Hartmann. Wie war das, plötzlich so etwas wie Popstars zu sein?
Rayan: Für uns hat sich das gar nicht so schnell angefühlt. Aber wenn wir mit Leuten, oft aus einer anderen Generation, sprechen, die noch fünf Jahre lang in Jugendzentren vor vierzig Leuten gespielt haben, dann wird uns bewusst, dass wir den weniger steinigen Weg gegangen sind. Ich kann nur sagen, wir sind sehr dankbar, so schnell ein Publikum gefunden zu haben, das sich für unser Schaffen interessiert. Die erste Welle kam über Instagram, und dann folgten uns immer mehr und mehr Leute.
Direkt im ersten Song eures Albums, Erinnerung, heißt es: „Hab dir geschworen, wir bleiben für immer jung / Doch das ging schnell vorbei / Alles, was bleibt, ist nur die Erinnerung“. Die ganze Platte ist getränkt in Nostalgie. Ist man mit Mitte zwanzig schon alt genug für dieses Gefühl?
Rayan (lacht): Ich glaube, man ist immer alt genug für Nostalgie. Ich war schon mit siebzehn nostalgisch.
Sammy: Man vermisst immer das, was man nicht hat. Wir leben unseren Traum und alles läuft gut. Trotzdem denken wir wehmütig zurück an die Zeiten, in denen es uns objektiv viel schlechter ging. Zeiten, in denen wir uns viel mehr Sorgen über unsere Zukunft machten als heute. Aber die man eben dennoch vermisst.
Rayan: Es gibt immer irgendetwas zu vermissen. Man erinnert sich an die Zeit im Fußballverein oder an die Zeit, als die Eltern noch zusammen waren, obwohl es ihnen getrennt viel besser geht, weil sie sich einfach nicht mehr verstanden haben. Man romantisiert halt die Vergangenheit, und das ist nicht einmal immer etwas Positives, denn man legt gern so einen rosaroten Schleier über das, was war und was in Wirklichkeit oft gar nicht so toll gewesen ist.
In Supernova sprecht ihr an, nun nicht mehr jung zu sein und euch nicht frei zu fühlen.
Rayan: Ja. Nostalgie hat letztlich viel damit zu tun, der Jugend auf Wiedersehen zu sagen.
Denkt ihr, eure Jugend geht gerade zu Ende? Der von euch erwähnte Cro ist 35 und gibt sich ziemlich wenig erwachsen. Wie ist das bei euch?
Rayan: Sammy, fühlst du dich erwachsen?
Sammy: Keine Ahnung. Ich frage mich das selber oft. Früher dachte ich, dass man mit Mitte zwanzig bestimmt schon erwachsen ist. Aber jetzt, wo ich so alt bin, merke ich nicht viel davon.
Rayan: Werde ich mich erwachsen fühlen, wenn ich Kinder habe? Wenn ich eine eigene Wohnung besitze? Im Moment fühle ich mich jedenfalls nicht sehr erwachsen. Auf dem Album geht es weniger ums Erwachsenfühlen, sondern eher darum, dass man weiß, man ist auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Und gleichzeitig hat man ein bisschen Angst davor, was das eigentlich bedeutet. Und was unterscheidet einen Erwachsenen überhaupt von einem Nicht-Erwachsenen? Ich glaube, Sammy und ich sind gerade in einem Stadium, wo wir keine Kinder mehr sind, aber auch noch keine Erwachsenen. Sondern uns in diesem Übergangsstadium befinden. Und das ganze Album ist geboren aus dieser Machtlosigkeit der Zeit gegenüber. Die Zeit wird immer vergehen, sie lässt sich durch niemanden aufhalten.
Sammy: Vielleicht werde ich auch niemals im Leben denken „So, ich bin jetzt erwachsen“. Vielleicht wäre das auch gut so. Denn man will ja nicht das Gefühl haben, als Mensch jetzt fertig entwickelt zu sein. Sondern will danach streben, eine immer bessere Version von sich selbst zu werden.
